Traumhafter Dempster Highway: Keine Fähre, dafür Begegnungen mit Bär, Fuchs und Wolf

Es ist 7 Uhr, als ich aufwache. Schnell ab ins winzige Bad und dann nach draußen, um einen Blick auf das Geschehen an der Fähre zu werfen. Es ist noch dunkel, aber die Trucker sind bereits auf den Beinen und versammeln sich vorne am Fluss. Drüben steht die Fähre, und ein paar Männer sind darauf zu sehen. Bereiten sie sich auf die Abfahrt vor?

Ich lausche den Gesprächen der Trucker und erfahre, dass es wohl um 9 Uhr losgehen soll. Prima. Ich kehre zum Camper zurück. Erst mal ein ausgiebiges Frühstück. Nach dem Essen schnappe ich mir meine Kamera und halte die herrliche Landschaft fest. Blaues Wasser, die aufgehende Sonne, knallgelbe Büsche am Ufer – einfach traumhaft. Viele der Wartenden stehen vorne am Ufer, oft mit riesigen Kaffeebechern, und genießen die herrliche Stille.

Gelegentlich kommt ein kleines Boot von der anderen Seite herüber. Einige Fahrer haben offensichtlich die Nacht auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses verbracht und kehren nun zu ihren Fahrzeugen zurück.

Plötzlich taucht ein alter Pickup auf, am Steuer eine Frau mittleren Alters. Die idyllische Stille ist schlagartig vorbei. Die Frau hupt wild, steigt aus und keift mit schriller Stimme in Richtung des anderen Ufers. Offensichtlich hat sie genug vom Warten und will, dass die verdammte Fähre endlich fährt – das war zumindest der ungefähre Wortlaut. Mehr Hupen, mehr Schimpfen, und so geht es weiter.

Irgendwann steigt sie wieder in den Wagen, wendet und fährt zurück. Dann, endlich, bewegt sich etwas. Die Fähre setzt sich in Bewegung. Einige Männer stehen mit langen Stöcken auf dem Deck und stochern im Wasser herum.

Nach etwa der Hälfte des Weges kehrt die Fähre wieder zurück. Oh nein… 🙄🚢

📵 Kein Handyempfang hier – aber warum stehen so viele Leute auf der anderen Straßenseite auf einem Hügel und starren auf ihre Handys? Neugierig geworden, gehe ich rüber. Und tatsächlich – oben auf einem kleinen Erdhügel gibt es ein schwaches GSM-Netz. Hier scheinen also die Informationen anzukommen. Einer der Männer hat frische Infos zur Fähre bekommen: „It takes another couple of hours.“

Ich taufe den kleinen Erdhügel kurzerhand „Telegraph Hill“. Dann gibt es erneut Aktivitäten auf der anderen Seite. Ein Bagger gräbt am Ufer vor der Fähre. Neben mir steht ein Mann, der ebenfalls das Treiben interessiert beobachtet.

Ich versuche witzig zu sein und sage zu ihm: „Do you think they’re digging a tunnel?“ Er legt nachdenklich die Hand ans Kinn, überlegt kurz und meint dann ganz trocken: „I think that’s impossible.“ Da erinnere ich mich wieder daran: Ich hatte mal gelesen, dass Amerikaner Sarkasmus nicht verstehen. 😅


Die Zeit verstreicht, während wir uns mit Kaffeetrinken, Smalltalk und Fotosmachen die Wartezeit vertreiben. Es ist mittlerweile Mittag, und die Fähre hat immer noch nicht ihren Betrieb aufgenommen. Niemand weiß, wie lange es noch dauern wird. In Anbetracht der Unsicherheit und des Zeitverlaufs entscheiden wir uns schließlich schweren Herzens, umzukehren. Schade. 😔🕰️

Die nun folgenden drei Stunden der Rückfahrt nach Eagle Plains offenbaren die unvergleichlichsten Momente unserer gesamten Reise. Ein strahlend blauer Himmel und die perfekte Wetterlage lassen die Landschaft in einem noch intensiveren Licht erstrahlen. Dieser Abschnitt auf dem Dempster Highway wird zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Die unberührte Natur präsentiert sich in ihrer ganzen Pracht, und wir können uns kaum sattsehen an den majestätischen Bergen, den weiten Tundren und den klaren Flussläufen. In dieser idyllischen Kulisse erspähen wir einen Fuchs, der neugierig am Straßenrand verweilt, einen mächtigen Polarwolf (den ich zunächst für einen entlaufenen Hund hielt), der durch die Wildnis streift, und schließlich den lange ersehnten Grizzlybären, der majestätisch in seiner natürlichen Umgebung verweilt. Ein Gefühl des Glücks durchströmt uns – diese Wildtierbegegnungen sind das Sahnehäubchen unserer Reise.

Die Straße verlangt von uns eine gemächliche Fahrt, nicht nur, um die überwältigende Aussicht zu genießen, sondern auch, um das Risiko einer weiteren Reifenpanne zu minimieren. Jeder Kilometer birgt eine neue Aussicht, und wir sind einfach dankbar, dass wir diese Schönheit erleben dürfen. Zufrieden setzen wir unsere Reise fort, im Einklang mit der Natur und den atemberaubenden Eindrücken dieser unvergesslichen Fahrt. 🚐

😄 Ach ja, da fällt mir ein: Gestern Abend habe ich noch in der Milepost geblättert – sozusagen der Bibel für Reisende im hohen Norden. Über den Straßenabschnitt, auf dem wir unsere beiden Pannen hatten, steht folgendes:

“CAUTION: Slow for shale road surfacing. Save your tires by driving slowly and not stopping too fast on sharp-edge shale.”

Milepost 2017

Nun ja, im Nachhinein ist man immer schlauer.

Genau an der Stelle, an der wir uns unsere beiden „Plattfüße“ eingeholt haben, steht ein Camper, und dahinter ein ratlos aussehendes Paar mittleren Alters, das ihre platten Reifen betrachtet.

Hey, wir sind Reifenwechsel-Profis! Lass uns anhalten und den beiden helfen. Schließlich waren wir ja auch über die Hilfe des Straßenarbeiters mehr als glücklich. Stefan hält an, ich mache das Fenster runter und frage, ob wir helfen sollen. Die beiden waren vermutlich Amerikaner. Der Mann meinte sogleich: „No, thanks“, die Frau hingegen sagte zu ihrem Gatten (auf Englisch): „Du hast doch noch nie einen Reifen gewechselt. Warum lässt du dir nicht helfen?“ Er meinte wiederum, er bekäme es alleine hin. „Lass sie doch helfen, wenn sie unbedingt wollen!“ meinte wiederum die Frau…

😅 So ging das eine Weile hin und her, bis sie dann meinten, dass wir weiterfahren sollen. Na dann eben nicht. Manchmal ist die Hilfe wohl nicht so willkommen, wie man denkt. 🚐💨

Um 14:45 Uhr erreichen wir Eagle Plains. Unser erster Stopp: die Auto-Werkstatt. „The same package as yesterday: Fill up Diesel and fix the tire.“ Es ist derselbe Mann wie gestern. Er zuckt mit den Schultern und meint nur „This is Dempster Highway“ – dann macht er sich an die Arbeit.

Er kümmert sich um den kaputten Reifen und bringt uns kurz darauf den Übeltäter unseres Plattens: Ein ziemlich großer Stein in Form einer Pfeilspitze. Der Stein hatte sich komplett durch den Reifen gebohrt. 🛠️🔩

😰 Ich mache mir Sorgen, weil der Stein ein ziemlich großes Loch im Reifen hinterlassen hat. Ich frage den Mechaniker, ob es möglicherweise sicherer ist, mit dem Ersatzrad weiterzufahren, als mit dem geflickten Reifen. „Your choice – I am just the guy that changes the tires.“ OK – das hilft mir nicht.

Wir wollen sowieso in Whitehorse bei Fraserway die Reifen überprüfen lassen. Bis dorthin werden wir es schon schaffen.

Unser Reifen ist versorgt, und das Ersatzrad ist wieder an Ort und Stelle. Wir bezahlen wieder $52 fürs Reifenflicken und parken unseren RV vor dem Restaurant. Erst mal Mittag essen.

War unser Truck Camper, als wir gestern in Dawson City losfuhren, noch der Lackfarbe des Herstellers zuzuordnen, ist er nun im Einheitston des Dempster Highway Straße gespritzt. Graubraun – die Tönung aufgewirbelten Staubs.

Und der Regen hat den Wagen nicht etwa gewaschen, sondern den ganzen Dreck so richtig fixiert. Unsere Tür zur „Wohnung“ geht unheimlich schwer, und die Scharniere kreischen fürchterlich beim Öffnen der Tür. Wir brauchen dringend mal eine Wagenwäsche.

Das Arctic Circle Restaurant hat heute geschlossen, aber der Raum daneben – die Millen Lodge – hat geöffnet. Stefan isst Hamburger, und ich nehme Chicken Tenders.


🚗🤔 Gerade als wir wieder in den Truck Camper steigen wollten, kommt ein PKW angefahren. Das Paar mit der Reifenpanne, das unsere Hilfe nicht wollte, steigt aus. Die Frau scheint stinksauer zu sein, der Mann läuft mit hängenden Schultern hinterher, während sie auf die Werkstatt zuläuft. Ohje – hier hängt der Ehesegen wohl sehr schief. Offenbar hat er den Reifenwechsel doch nicht hinbekommen. Ach je – und nun hat der Arme wohl keinen Spaß mehr mit seinem Frauchen. Andererseits: Liebe Männer – so ist das eben, wenn man der Ehefrau widerspricht!!! 💔

Um 14:30 Uhr sind wir wieder auf der Straße.

Haben wir gestern auf diesem Streckenabschnitt nach Eagle Plains wegen des Regens nicht viel gesehen, so ist es jetzt herrlich. Wir halten oft an und machen Fotos, Fotos, Fotos. Immer wieder kommen wir an Stellen, wo sich die Berge im klaren Wasser des Peel Rivers spiegeln. Ich kann gar nicht genug davon bekommen.

Wir machen Halt am Ogilvie Ridge View Point. Der Blick über gelb-rot gefärbte Sträucher zum Peel River; Blick in das herbstliche Peel River Valley. Der Blick reicht weit übers Land auf den von gelben Aspen umrandeten Peel River im Tal. Hinweistafeln erklären, was es wo zu sehen gibt. 📷

Der Himmel ist heute Nacht klar und funkelt vor Sternen. Unsere Hoffnung auf die Sichtung von Nordlichtern steigt, und wir beschließen, in der Nähe einen Platz für die Nacht zu finden. Nach 250 km seit Eagle Plains erreichen wir den malerischen Lake Chapman. Die umliegende Landschaft und der klare See mit einer kleinen Insel üben eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf uns aus.

An einer kleinen Haltebucht finden wir einen idealen Rastplatz mit freier Sicht in alle Richtungen. Die Atmosphäre ist magisch, und die Stille der Wildnis umgibt uns. Der Gedanke, dass wir die Möglichkeit haben könnten, das faszinierende Naturschauspiel der Nordlichter zu erleben, lässt unsere Vorfreude steigen.

Der Truck Camper steht fest verankert, und wir richten uns gemütlich für die Nacht ein. Die Stille wird nur vom sanften Rauschen des Windes und den fernen Geräuschen der Natur durchbrochen. Wir warten geduldig auf die Nacht und hoffen darauf, dass der Himmel sich in ein leuchtendes Farbenspiel verwandelt. Hier am Lake Chapman, umgeben von unberührter Natur, sind wir bereit, das Wunder der Nordlichter zu bestaunen.

🌙 Nachdem wir uns ein kleines Vesper gemacht haben, begeben wir uns nach hinten in den Truck Camper. Draußen ist es inzwischen dunkel, und Stefan kümmert sich um die Fülle von Fotos, die wir heute gemacht haben. Um 23 Uhr setze ich mich in die Fahrerkabine und hoffe, die Nordlichter auf keinen Fall zu übersehen.

Um 23:30 Uhr gesellt sich Stefan zu mir. Wir hören ein bisschen Musik und ein paar Podcasts. Plötzlich tauchen am Himmel Wolken auf – wo kommen die denn nun her? So etwas Blödes. Das wird wohl nichts mehr mit den Nordlichtern. Dann gehen wir eben schlafen.

Unser RV scheint nicht ganz gerade zu stehen, denn wir rutschen beim Schlafen irgendwie immer nach rechts. Mitten in der Nacht lachen wir uns darüber kaputt. Und weil wir so wohl kaum Schlaf finden werden, beschließen wir weiterzufahren. Es ist 1:00 Uhr. Stefan zieht sich eine Jeans an; ich bleibe einfach im Schlafanzug. Wir fahren (immer noch lachend) etwa 45 Minuten bis zum Tombstone Campground. Dort nehmen wir den ersten freien Platz und gehen wieder schlafen.

Umziehen muss ich mich nicht mehr. Bin ja schon im passenden Outfit 🙂 🌌🚐😄

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