Zum ersten Mal in der Lok mitfahren

Na, wer hätte gedacht, dass ich mal so früh morgens aufstehen würde? Keine Sorge, ich bin nicht freiwillig aufgewacht – mein Wecker hat mich aus dem Schlaf gerissen und mir unmissverständlich klar gemacht: „4:30! Aufstehen, meine Liebe!“

Warum dieser brutale Weckruf? Nun ja, seit zwei Wochen befinde ich mich auf einer abenteuerlichen Reise, die mich zur Lokführerin machen soll. Klingt cool, oder? Aber glaubt mir, es ist härter als gedacht. Zwei Wochen lang habe ich mich mit Begriffen herumgeschlagen, die klingen, als hätte jemand Buchstaben in einer Scrabble-Runde wild durcheinandergewürfelt: Bremshundertstel, Durchrutschgleis, Tonfrequenzgleistromkreis. Klingt nach einer Geheimsprache, oder?

Aber heute ist der Tag, auf den ich mich besonders gefreut habe. Heute darf ich vorne im Zug stehen und einem echten Lokführer bei der Arbeit zuschauen. Natürlich ohne etwas anzufassen – Sicherheit geht vor!

Unser Treffpunkt ist Stuttgart. Aber nicht der belebte Hauptbahnhof, nein, wir treffen uns bei der Zug-Abstellung. Das klingt wie eine geheime Basis für Zugenthusiasten, oder? Früh am Morgen werden hier die Züge aus ihren nächtlichen Ruhestätten geweckt und für den Tag vorbereitet. Ein bisschen wie das Frühstück für Lokomotiven.

Ich komme schon frühzeitig am Parkplatz an – schließlich will ich nicht riskieren, dass der Zug wegen meiner Verspätung abhaut! Und dann muss ich mich auch noch durch dieses Labyrinth aus Gleisen und Zügen kämpfen. Aber keine Sorge, ich werde nicht alleine gelassen. Ein junger Kerl kommt auf mich zugestiefelt: „Hey, ich bin Marco – lass uns mal unseren Zug suchen.“

Marco hat zuerst einmal die Leitstelle kontaktiert. Nach ein paar Minuten wissen wir: Unser Zug chillt auf Gleis 724. Wir machen uns auf den Weg durch dieses unwegsame Gelände. Es sieht aus wie der perfekte Drehort für einen Hollywood-Actionfilm, voll mit wilden Verfolgungsjagden um die Züge herum.

Als wir endlich unser Gleis erreichen, blicken wir auf einen Zug, der mit Graffiti übersät ist. Der Geruch von frischer Farbe liegt noch in der Luft – anscheinend war hier ein „Künstler“ am Werk. Hoffentlich hat er nicht aus Versehen unseren Zug erwischt! Doch Marco beruhigt mich: „Nein, unser Schätzchen steht da drüben.“

Nun stehe ich also zum ersten Mal direkt vor diesem Koloss von Triebfahrzeug. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob man einfach nur auf einem Bahngleis steht oder diesem Ungetüm gegenübersteht.

Wir klettern hinauf auf das Gefährt. Und Leute, ich sag euch, das ist nichts für kleine Leute! Der Einstieg ist so hoch, dass ich das Gefühl habe, eine Bergwanderung zu unternehmen. Aber endlich sind wir im Führerstand angekommen, dort, wo später der „Kapitän“ des Zuges seinen Platz einnehmen wird.

Marco startet das Monster. Vier riesige Displays zeigen eine Unmenge an Parametern an, während es hupt und die Bremsleitungen sich mit einem zischenden Geräusch mit Luft füllen.

Dann startet Marco das Diagnoseprogramm. Das Triebfahrzeug sagt uns, was alles überprüft werden muss. Es ist wie eine Checkliste für die Gesundheitsuntersuchung eines Riesen. Schritt für Schritt gehen wir alles durch. Verschiedene Sicherheitseinrichtungen prüfen sich selbst auf Funktionalität. Es hupt, zischt und faucht, LEDs blinken wild umher und auf den Bildschirmen werden Daten en masse angezeigt.

Und dann wird das Makrofon, oder wie es in Fachkreisen genannt wird, die „Pfeife“, getestet. Unser Zug lässt ein ohrenbetäubendes Signal ertönen.

Nachdem Marco alles gründlich gecheckt hat und unser Zug wie eine Eins funktioniert, machen wir uns noch einmal auf den Weg rund um den Zug. Marco inspiziert Bremsen, Schläuche und Kupplungen – und ich mache einfach mal so, als würde ich Ahnung haben und nicke beeindruckt, als er alles für einwandfrei erklärt.

Dann klettern wir zurück in den Führerstand und machen uns auf den langen Weg zum anderen Ende des Zuges. Dieses Mal schlängeln wir uns durch die schmalen Gänge im Inneren, denn auch hier gibt es das ein oder andere zu prüfen, wie zum Beispiel das reibungslose Öffnen und Schließen der Türen.

Unser Zug ist mehr als 100 Meter lang, also legen wir einen ordentlichen Spaziergang hin, bis wir endlich am anderen Ende ankommen. Im Führerhaus angekommen, starten wir erneut das Diagnoseprogramm. Ich fange an, mich zu fragen, ob dieser Zug mehr Gesundheitschecks bekommt als ich beim Arzt.

Nach fast einer Stunde intensiver Vorbereitung meldet Marco schließlich unseren Zug beim Weichenwärter als abfahrbereit. Es ist an der Zeit, die Schienen unsicher zu machen!

Das kleine rote Signal vor uns springt plötzlich auf Weiß um, und wir setzen uns langsam in Bewegung. Auch wenn wir hier nur gemütlich rollen dürfen, ist es für mich unglaublich aufregend, meine ersten Meter im Führerstand des Zuges zu machen. Der Weg führt uns durch ein verwirrendes Labyrinth aus Signalen, Schienen und Weichen, das für mich wie ein undurchschaubares Rätsel wirkt. Über uns zieht sich ein wirres Netz aus Leitungen, und überall ragen Masten empor, die dieses Gewirr halten.

Wir tauchen in einen Tunnel ein, und als wir wieder ans Tageslicht kommen, kann ich bereits den Stuttgarter Kopfbahnhof in der Ferne erkennen. Unser Zug soll auf Gleis 3 einfahren – ich kann es kaum erwarten!

Marco bringt den Zug kurz vor dem Prellbock zum Stehen. Jetzt haben wir noch fast 20 Minuten bis zur Abfahrt. Zeit genug also, um schnell einen Kaffee zu schlürfen. Die Türen für die Fahrgäste sind geöffnet, und während wir unseren Koffeinkick genießen, füllt sich unser Zug langsam mit Passagieren.

Es ist 7:07 Uhr und Abfahrt! Unser Zug setzt sich in Bewegung. Noch über ein paar Weichen klappern, dann sind wir auf der sogenannten „freien Strecke“.

Mit bis zu 140 km/h düsen wir durch die Landschaft. Heute steht die Strecke bis nach Würzburg auf dem Programm, bevor es dann wieder zurück nach Stuttgart geht. Und ja, die Zeit vergeht tatsächlich wie im Flug – oder sollte ich besser sagen, wie im Zug? Auf der Hinreise gönnen wir uns eine kurze Verschnaufpause in Heilbronn, aber auf dem Rückweg gibt es keinen Halt, wir sind im wahrsten Sinne des Wortes auf der Überholspur!

Pünktlich um 13:57 Uhr kommen wir wieder in Stuttgart an. Marco übergibt den Zug an einen anderen Lokführer, der nun das Steuer übernimmt. Unser Zug macht sich auf den Weg zurück nach Würzburg.

Ich kann es kaum erwarten, selbst mal den Zug zu steuern. Aber das wird noch ein bisschen dauern. Bis dahin gibt es genug zu lernen. Was war nochmal die Definition von „Vorsignal eines selbsttätigen Blocksignals“? Keine Ahnung! Ich denke, ich werde noch ein wenig üben müssen.

Bleibt dran für weitere Abenteuer!

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