
Mit Dampf von Durango nach Silverton – ein Tag im echten Polar Express
Von unserem Schlafplatz auf dem Walmart-Parkplatz rollten wir am frühen Morgen los – frisch geduscht, leicht zerknittert, aber voller Vorfreude.
Der Bahnhof von Durango lag nur ein paar Minuten entfernt, und dank vorab gebuchtem Parkplatz konnten wir den Camper direkt hinter dem historischen Gebäude abstellen – ein echtes Privileg in dieser sonst recht eisenbahnsentimentalen Kleinstadt.
Wir hatten noch ausreichend Zeit. Zeit zum Umräumen, Umpacken, Umdenken – und vor allem: zum Frühstücken. Doch dieser Morgen begann nicht mit einem Bagel, sondern mit einem Quieken.
Nicht vom Zug. Der kam später. Sondern aus dem Schrank unter der Spüle. Während der Kaffeeduft langsam durch den Camper zog und die Cornflakes unter Emilias Löffel knisterten, bewegte sich plötzlich etwas zwischen Reinigungsmittel und Teebeuteln.

Ein kleiner Schatten, zwei schwarze Knopfaugen, ein wacher Blick, der sagte: „Ich bin schon länger hier als ihr.“ Mausalarm. Ein kurzer Aufschrei, gefolgt von kollektivem Gekicher – und dann die Erkenntnis: „Mausi“ ist eigentlich ganz niedlich. Keine Panik, keine Hektik – wir taten das, was Camper mit Herz tun: Wir ließen sie in Ruhe.
Ein paar Snacks sicherten wir um, der Müll wurde entsorgt, und der Rest wurde unter dem Motto „Leben und leben lassen“ wegsortiert. Wir verabschiedeten uns von Mausi – fast ein bisschen wehmütig – und machten uns auf den Weg zum Bahnhof.
Wissenswertes & Fun Facts über die Durango & Silverton Narrow Gauge Railroad
Ein Zug mit Geschichte:
Die Strecke wurde 1882 von der Denver & Rio Grande Railway gebaut – ursprünglich, um Silber und Gold aus den Minen von Silverton abzutransportieren. Dass heute Touristen statt Erz durch die Berge rattern, konnte damals niemand ahnen – aber wir sind froh, dass es so gekommen ist.
Schmaler geht’s kaum:
Die Bahn fährt auf einer sogenannten Narrow Gauge – also einer Schmalspur mit nur 914 mm. Warum? Weil das in den Bergen flexibler ist, steilere Kurven ermöglicht und einfach irgendwie gemütlicher aussieht.
Dampf statt Diesel:
Die Züge werden immer noch mit echten Dampflokomotiven betrieben – das ist heute eine Seltenheit. Wer also einmal den Geruch von Kohle, Öl und Abenteuer in der Nase haben will, ist hier genau richtig.
Hollywood lässt grüßen:
Die Bahnstrecke war schon Filmkulisse für zahlreiche Western – unter anderem für „Butch Cassidy and the Sundance Kid“. Auch in „Indiana Jones and the Last Crusade“ wurde hier gedreht – also wer weiß: Vielleicht habt ihr gerade auf Harrisons Spuren gestaunt.
Zugromantik trifft Natur pur:
Die Strecke führt über 45 Meilen (72 Kilometer) durch die San Juan Mountains. Kein Handyempfang, kein WLAN, keine Ablenkung – nur der Sound der Lok, der Animas River und der Blick auf eine der unberührtesten Landschaften Colorados.
Zwei Loks? Kein Wunder!
Dass auf dem Weg hinauf plötzlich zwei Lokomotiven am Zug hängen, ist kein Zaubertrick, sondern einfache Physik: Bei hoher Auslastung oder schwierigen Wetterbedingungen wird eine zweite Lok als Schubhilfe angekoppelt – oft unterwegs, ganz diskret, während alle staunend die Landschaft genießen. Wie ein Ninja, nur mit Dampf.
Und im Winter? Wird’s magisch.
Denn dann verwandelt sich die Durango & Silverton Railroad in den echten Polar Express. Mit Lichtern, heißem Kakao, Weihnachtsliedern und natürlich – dem goldenen Ticket. Der Film „The Polar Express“ basiert tatsächlich auf dieser historischen Zuglinie, die bis heute kleine und große Passagiere in Weihnachtsstimmung versetzt. Also: „All aboard!“ – wer im Dezember mitfährt, bekommt die volle Portion Zauber gleich mitgeliefert.
Die goldene Regel:
Auf der gesamten Strecke gilt: Fenster öffnen erlaubt – Hinauslehnen verboten. (Offiziell. Inoffiziell… naja.)
Und ja: Es gibt echte Schaffner mit Lochzange, Uniform und dem nötigen Maß an Ernsthaftigkeit – Conductor Tom Hanks lässt grüßen.
Denn heute stand etwas ganz Besonderes auf dem Plan: Die Fahrt mit der Durango & Silverton Narrow Gauge Railroad. Oder, wie Noah es voller Überzeugung nannte: „Der echte Polar Express!“
Seit Weihnachten ist er großer Fan des Films – und zwar nicht nur zur Adventszeit. Wenn Tom Hanks durch Schneesturm und Zweifel dampft, ist Noah voll dabei. Und heute fuhren wir quasi mitten hinein in diese Zauberwelt.
„Seeing is believing. But sometimes the most real things in the world are the things we can’t see.“
Dieses Zitat aus dem Film schien für diesen Tag gemacht – denn was heute vor uns lag, konnte man nicht googeln oder scrollen. Man musste es erleben. Ein echter Dampfzug. Eine echte Gebirgsfahrt. Und echte Kinderaugen, die mehr strahlen als jede LED-Beleuchtung an Weihnachten.

Wir gingen zum Bahnhofsgebäude – oder besser gesagt: Wir marschierten wie eine gut eingespielte Expedition mit klarer Mission. Doch bevor es Richtung Zug ging, kam natürlich noch der unausweichliche, würdige, absolut gerechtfertigte Stopp im Souvenirshop. Denn wie reist man mit Stil? Genau: mit Herz, Charme und einem Portemonnaie, das an der Kasse nicht nein sagen kann.
Noah und Emilia griffen beherzt zu. Ein Polar-Express-T-Shirt, ein Schlüsselanhänger, und – natürlich! – das Goldene Ticket. Der Moment, in dem Noah es in der Hand hielt, war ungefähr so ehrfürchtig, als hätte er die Eintrittskarte nach Hogwarts gezogen.
Kinder, passt bloß gut auf euere Tickets auf! Denn wer den Film kennt, weiß: Das Ticket könnte jeden Moment durch einen Lüftungsschlitz gesogen werden, sich flatternd auf Weltreise begeben, über das Zugdach gleiten, in der Lok landen, mit einer Karibu-Herde kollidieren und auf einem zugefrorenen See in Pirouetten enden. Und ganz ehrlich – wir hätten es geglaubt, wenn genau das passiert wäre.
BILDERGALERIE: Durango Station
Am Bahnhof selbst herrschte geschäftiges Treiben. Züge rangierten hin und her, Dampf zischte, Uniformen schritten bedeutungsvoll über den Bahnsteig.
Unser Zug – dampfend, funkelnd, bereit für die große Show – wurde noch einmal technisch überprüft. Die Bremsen quietschten kurz zum Gruß. Noah stand mit offenem Mund da. Emilia hielt ihr Ticket fest umklammert, als könnte es jederzeit entgleiten.
Dann endlich: Boarding-Time. Wir durften einsteigen. Und nicht irgendwo – sondern in Vintage Coach 21. Holzbänke, alte Fenster, alles knarrte und lebte. Ein Waggon mit Charakter, Patina und dem Gefühl, dass hier schon Generationen gesessen und gestaunt haben.
Es war soweit. Wir saßen drin. In einem echten Dampfzug. Auf einer echten Schmalspurbahn. In einem echten Kindertraum mit Rauchfahne. Und als die Lok anfuhr und der erste kräftige Ruck durch den Waggon ging, war klar: Das wird kein Tag wie jeder andere.

Dann dampfte der Zug los. Punkt 9 Uhr. Die Sonne kroch gemächlich über die Dächer von Durango, als wüsste sie, dass es heute nichts zu überstürzen gibt. Die Lok zischte, ächzte und schnaubte, als wolle sie sagen: „Na gut, dann wollen wir mal.“
Und wir fuhren. Die Fahrt war ein Gedicht. Ein lautes, rhythmisches, ratterndes Gedicht – mit Aussicht. 3,5 Stunden lang zog der Dampfzug seine Bahn durch die San Juan Mountains, entlang des wilden Animas River, durch eine Landschaft, die aussah wie das sorgfältig kuratierte Filmset einer Hollywood-Produktion: Wildwest meets Indian Summer meets Fantasy-Roman.
Die Bäume leuchteten in Gold, Kupfer, Rostrot. Der Himmel? Strahlend blau. Die Sonne tupfte warmes Licht auf Felswände und Flussbiegungen. Es war, als hätte sich der Herbst heute besonders hübsch gemacht – für uns.
BILDERGALERIE: Fahrt von Durango nach Silverton
Unser Zugbegleiter war ein Conductor alter Schule. Streng, korrekt, uniformiert – und mit einem ausgeprägten Verhältnis zu Regeln. „No leaning out!“ „No standing on the platform!“ „No photos from the open window!“ Jede Ansage klang ein bisschen wie: „Ich will ja auch nicht der Spaßverderber sein – aber ich bin’s nun mal.“
Also tat ich, was jede pflichtbewusste Erwachsene in einem historischen Dampfzug tun würde: Ich machte Fotos. Vom offenen Fenster. Heimlich. Noah schaute mich an wie einen rebellischen Helden. Er applaudierte innerlich. Und ich? Ich schoss ein Foto nach dem anderen – denn diese Aussicht war zu gut, um brav zu sein.

Emilia hingegen entschied sich für einen anderen Modus: Sie schlief. Und wachte auf . Und schlief wieder. Das gleichmäßige Rattern, das leise Pfeifen der Lok, das sanfte Schaukeln – all das verwandelte den Dampfzug in ihren ganz persönlichen Schlafexpress. Zwischen Staunen, ein paar Brotkrümeln auf dem Schoß und dem gedämpften Hintergrund-Kanon aus Dampfpfeifen und Herbstlaub fiel ihr immer wieder die Augen zu. Ein Bild für die Ewigkeit. Und wahrscheinlich die gemütlichste Art, durch eine Wildnis zu reisen, die man sonst nur aus alten Western kennt.
Gegen Mittag dann: Ankunft in Silverton. Wir stiegen aus dem Zug – leicht durchgerüttelt, etwas verstaubt, aber glücklich – und standen plötzlich in einer anderen Zeit. Vor uns: eine Szenerie wie aus einem alten Westernfilm.
Ungeteerte Straßen, knarzende Holzveranden, schiefe Schilder, bunte Fassaden. Und über allem ein feiner Hauch von Pulverdampf und Pioniergeist. Aber halt – Moment mal… Irgendetwas stimmte nicht. Wir waren mit einer Lok losgefahren. Und standen jetzt vor einem Zug mit zwei.
Wo kam die zweite her? War sie uns nachgelaufen? Kam sie aus dem Gebüsch? War sie schon die ganze Zeit da und hatte sich einfach gut versteckt? Ich schaute auf mein Handy. Auf den Fotos von unterwegs war’s eindeutig: Ab einem gewissen Punkt war der Zug plötzlich doppelt bespannt.
Kein Hinweis, kein „Tadaaa“, keine Durchsage à la „Wir verdoppeln Ihre Zugkraft – nur heute!“ Also blieb nur eine logische Erklärung: Magie. Oder ein Trick, den nur die Durango & Silverton Railroad kennt.

Silverton selbst empfing uns mit Charme, Staub und einer gehörigen Portion Nostalgie. Ein Ort, der so sehr nach „Früher“ aussah, dass man sich beinahe dafür entschuldigen wollte, ein Smartphone in der Hand zu halten.
Wir bummelten die Hauptstraße entlang, ließen uns treiben zwischen Souvenirläden, rustikalen Saloons, staubigen Bürgersteigen und Menschen, die aussahen, als hätten sie nie ganz aufgehört, Gold zu suchen.
Ein Stopp im „höchstgelegenen Harley-Davidson-Store der Welt“ war natürlich Pflicht. Drinnen: Leder, Stahl und jede Menge cooler Shirts. Draußen: Stolze Besitzer dieser Shirts, die schon vor dem Spiegel posierten, bevor sie bezahlt hatten. Auch wir griffen zu. Denn wer kann schon sagen, „dieses T-Shirt hab ich übrigens in 2.800 Metern Höhe gekauft.“
BILDERGALERIE: Downtown Silverton
Das Mittagessen genossen wir im „Thee Pitts Again BBQ“. Der Name allein versprach schon einiges – ein bisschen Grill, ein bisschen Größenwahn und definitiv kein Salat – außer ein wenig Cole Slaw. Und genau das bekamen wir auch.
Drinnen roch es nach Holzrauch, Marinade und dem Versprechen, dass hier niemand hungrig rausgeht. Die Wände waren mit Pokalen dekoriert – Barbecue-Meisterschaften, scharfe Saucen-Wettbewerbe, vermutlich auch ein Preis für den besten Kolesterinwert mit Stil.
Wir bestellten – was sonst – das volle Programm: Ribs, Brisket, Pulled Pork. Dazu Cole Slaw, Bohnen, Cornbread und die obligatorische Sauce, bei der man mit der Dosierung besser nicht übermütig wird.
Und ja: Es war viel. Es war fettig. Es war fantastisch. Sättigend, deftig, lecker – genau das, was ein Tag auf Schienen und staubigen Straßen verlangt. Ein BBQ-Restaurant, wie es im Roadtrip-Drehbuch stehen würde. Kein Chichi. Nur Rauch, Geschmack – und dieses angenehme Gefühl, dass der Tag kulinarisch auf dem Höhepunkt angekommen ist.



Der Rückweg mit dem Zug begann am Nachmittag. Dieselbe Strecke. Dieselben Berge. Aber diesmal fuhren wir nicht als neugierige Abenteurer los – sondern als entspannte Rückkehrer, mit müden Beinen, volleren Mägen und einem inneren Lächeln.
Noah lehnte sich zufrieden zurück, das Goldene Ticket fest in der Hand, Emilia döste wieder halb im Takt des ratternden Wagens – eingekuschelt, satt, selig.
Draußen hatte sich das Licht verändert. Das strahlende Herbstgold vom Vormittag war einer weicheren, gedämpften Stimmung gewichen. Dicke Wolken zogen über die Bergrücken, gelegentlich nieselte es. Der Himmel trug jetzt das leise Grau von Abschied und Zufriedenheit.
Aber wir waren nicht traurig – nur dankbar, dass wir auf der Hinfahrt schon all die Fotos gemacht hatten, als die Sonne noch alles in Postkartenfarben getaucht hatte. Der Dampf stieg immer noch auf, die Lok zischte wie ein alter Freund, der sich verabschiedet.
„The thing about trains… it doesn’t matter where they’re going. What matters is deciding to get on.“
(Conductor / Tom Hanks)
Und genau das hatten wir getan. Wir waren eingestiegen. Haben die Fahrt genossen. Und würden sie nie vergessen.
BILDERGALERIE: Silverton – Durango
Zurück in Durango – nach fast neun Stunden Zeitreise – war plötzlich wieder alles modern. Autos, Asphalt, WLAN. Die Gegenwart hatte uns zurück.
Aber in unseren Gesichtern lag noch der Staub der Vergangenheit – und das Leuchten eines Ausflugs, der sich angefühlt hatte wie ein Kapitel aus einem Lieblingsbuch. Ach, war das schön. Ein Tag für die Seele. Und für das Reisealbum. Eins der dicken.
Ein kurzer Zwischenstopp bei TJ Maxx. Ein schneller Abstecher zu Ross Dress for Less. Die Klassiker unter den amerikanischen „Wir brauchen eigentlich nichts, aber gehen trotzdem rein“-Läden.
Ein paar günstige Schätze für den Camper-Alltag, ein neues Shirt, das „vielleicht ganz praktisch“ ist, und natürlich ein „Oh, das könnte ich irgendwann mal brauchen“-Kauf, den man sich später mit einem Schulterzucken rechtfertigt. Dann – wie heimkommen auf vier Rädern – zum Walmart. Unser heutiger Schlafplatz. Wieder mal. Verlässlich, unkompliziert, ein bisschen laut, aber irgendwie vertraut.
Lebensmittel auffüllen war angesagt. Wasser, Müsliriegel, Obst. Und – selbstverständlich – noch eine neue Sorte BBQ-Sauce. Weil man nie weiß, was einem morgen schmeckt. Denn eines ist klar: Ein Roadtrip bleibt nur dann entspannt, wenn die Vorräte nicht streiken. Wenn der Kühlschrank klackend aufspringt und man nicht vor leerem Regal steht. Wenn die Kinder Snacks haben, bevor sie fragen. Und der Kaffee bereitsteht.


Der Tag endete, wie er begann: Mit einem Fahrzeug. Aber diesmal war es nicht der Dampfzug. Sondern unser Camper. Still. Geparkt. Müde. Wie wir.
Ein Tag zwischen Dampf, Kindheitstraum, Wildwestcharme und Einkaufswahn. Ein Tag, der bleibt. Und morgen? Wieder auf die Straße. Wieder raus ins Unbekannte. Wieder rein ins Abenteuer. Nur dass diesmal die Snacks mit dabei sind.