Sand, Steaks und Signalfähnchen – der vorletzte Tag

Guten Morgen, Walmart-Parkplatz. Das vorletzte Frühstück auf amerikanischem Asphalt. Eingekuschelt im Camper, die Cornflakes klimpern in der Schüssel, draußen rollen schon die ersten Pickups vorbei. Ein kurzer Stopp drinnen im Walmart – nochmal Snacks, Wasser, ein „Brauchen wir das?“–„Nein, aber wir nehmen’s trotzdem“-Artikel – dann rauf auf die Straße. Bye bye, Durango.

Camperlife auf dem Walmart Parkplatz

Nach einem letzten, etwas verschlafenen Blick zurück auf Durango rollten wir weiter auf der US 160 – ostwärts, immer Richtung Sonne. Die Landschaft wurde wilder, hügeliger, und das goldene Herbstlicht malte Glanzlichter auf die Baumwipfel. Ein Traum in Sepia, unterbrochen nur von der dezenten Unruhe, die mit leerem Magen einhergeht. Zum Glück hatten wir bereits nach knapp 1,5 Stunden die rettende Idee: Pagosa Springs. Und wie bestellt tauchte sie auf – die Riff Raff Brewing Company, eine dieser charmanten Brauereien, die so tun, als hätten sie nur auf genau uns gewartet. Direkt am Straßenrand, mit einladender Terrasse, und – man mag es kaum glauben – Parkplatz direkt gegenüber. Jackpot.

Riffraff Brewing

Einziger Haken: Noah und Emilia im Tiefschlaf, versunken in ihre ganz eigene Welt aus Traum-Abenteuern, Bonbonwolken und Spielplatz-Replays. Die Augen geschlossen, die Wangen rosig, der Körper schwer wie ein Mehlsack.

Also beschlossen wir, unsere Kräfte zu bündeln: Team-Aufteilung. Stefan und ich übernahmen den offiziellen Part des Essens vor Ort – investigativ, kulinarisch, mit vollem Einsatz und bestellen für die zurückgebliebenen Essen „To Go“, welches Oli wenig später bereits für sich und Nadine abholen konnte, um es stilecht im Camper zu verputzen – in dieser stillen, leicht verwackelten Wohnmobilromantik, bei der jeder Happen ein bisschen nach Abenteuer schmeckt.

Die Riff Raff Brewing Co. selbst? Ein Ort zum Durchatmen. Drinnen roch es nach geröstetem Malz, Holz und einem Hauch Wildnis. Wir nahmen an einem rustikalen Holztisch Platz, bestellten Chicken Wings – und natürlich ein hausgebrautes Craft Beer, das seinen Namen wirklich verdiente. Würzig, herb, mit einer leichten Note von „Ich habe mir diesen Moment verdient“.

Riffraff Brewing

Man glaubt ja, man hätte im Leben schon alles gesehen – bis man in einer amerikanischen Kleinstadt steht, auf eine stark befahrene Straße blickt und plötzlich vor einem Fähnchenhalter steht. Kein Witz. Ein Halter mit leuchtend gelben Flaggen, und daneben eine bebilderte Anleitung, wie man damit sicher die Straße überquert. Schritt 1: Fahne nehmen. Schritt 2: Hochhalten. Schritt 3: Würdevoll Richtung Gegenverkehr wedeln wie eine Mischung aus Clownfisch und Verkehrserzieherin. Schritt 4: Danke winken. Schritt 5: Fahne auf der anderen Seite wieder einstecken. Spiel, Satz, Sicherheit.

Natürlich musste ich das ausprobieren. Also schnappte ich mir die Flagge, warf Stefan einen bedeutungsschwangeren Blick zu, hob das Ding wie ein Dirigent am Zebrastreifenpodest – und marschierte los. Autofahrer hielten tatsächlich an. Vermutlich aus einer Mischung aus Respekt, Neugier und schlichter Verwirrung.

Ein bisschen fühlte es sich an wie in einer Kinderbuchwelt, in der Verkehrsregeln noch Spaß machen und Erwachsene mit Fahnen durch die Gegend wedeln, weil es einfach dazugehört.

Fazit: Wenn’s nach mir geht, darf dieses System sofort weltweit eingeführt werden. Es ist sicher, es ist sympathisch – und es sorgt für Gesprächsstoff noch lange nach dem letzten Chicken Wing.

Als wir nach dem Essen zurück zum Camper schlenderten, waren Oli und Nadine gerade mit dem Essen fertig – bestechendes Timing, fast schon verdächtig perfekt. Gleichzeitig regte sich im Inneren unseres rollenden Zuhauses was: Zwei müde Abenteurer öffneten die Augen. Noah blinzelte in die Sonne wie ein kleiner Bär aus dem Winterschlaf, und Emilia streckte sich mit dem zufriedenen Gesichtsausdruck eines Kindes, das nicht weiß, dass es gleich wieder auf einen Spielplatz darf.

Und genau da ging’s auch hin – praktischerweise direkt neben unserem Parkplatz. Noah drehte auf, als hätte er die letzten zwei Stunden im Energiesparmodus überbrückt. Emilia hingegen widmete sich nochmal konzentriert dem Thema „Sand in alle Taschen“. Die Geräuschkulisse bestand aus Kinderlachen, Schaukelkettenklirren und vereinzelten „Pass auf, das ist rutschig!“-Rufen.

Währenddessen begann im Camper das unvermeidliche Ritual: Mission Koffer-Tetris. Nadine und ich wühlten uns durch Taschen, Sockenpaare und Mitbringsel. Ein paar Geschenke? Check. Zu viele neue T-Shirts? Auch check. Der Gedanke an den Rückflug schlich sich langsam heran – ein leiser Stich Fernweh, durchmischt mit der leichten Vorfreude aufs eigene Bett. Und trotzdem: Noch waren wir unterwegs. Noch war da Abenteuer.

Wolf Creek Pass

Der Roadtrip zeigt uns auf den letzten Kilometern nochmal, warum wir ihn lieben. Weil es eben nicht nur um Ziele geht, sondern um diese unerwarteten Momente dazwischen. Um Täler, die man nie geplant hatte, und Ausblicke, die so ruhig und groß sind, dass einem kurz der Gedanke kommt, ob man nicht einfach hierbleiben sollte. Aber die Uhr tickt, der Tank ist voll und die Sanddünen warten – also weiter.

Gegen späten Nachmittag erreichen wir den Eingang des Great Sand Dunes National Park. Und obwohl wir schon zig Postkartenmotive auf dieser Reise gesehen haben, bleibt uns der Mund offen stehen. Die Dünen ragen plötzlich wie ein goldenes Meer aus Sand vor uns auf – am Fuß der Rockies, als hätte sich jemand mit einem riesigen Sandkasten verspielt.

Wir laufen noch ein kleines Stück hinein. Barfuß. Sand zwischen den Zehen, Wind in den Haaren, die Sonne schon tief. Es ist wie ein letzter stiller Höhepunkt, ein würdiger Abschluss dieses wilden, wunderschönen Abenteuers.

Great Sand Dunes National Park

Und dann – die Dünen des Sand Dunes National Park. Wie aus einer anderen Welt, mitten in Colorado. Kein Meer, kein Wind, keine Palmen. Aber Sand. Viel Sand. Wir liefen ein Stück, barfuß, lachend, mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages im Rücken. Kein langer Hike mehr – nur ein kleiner, stiller Moment.

Die Sonne stand schon tief, als wir unser kleines Abenteuer zwischen Sand und Horizont starteten. Statt sofort zum Campingplatz zu fahren, hielten wir es wie richtige Wüstenentdecker: Wir warfen alle Pläne über Bord und gingen rein in die Dünen.

Und was soll man sagen? Zwei Stunden lang waren wir in einer völlig anderen Welt unterwegs. Keine Straßen, keine Geräusche – nur Wind, Sand und wir. Die Great Sand Dunes zeigen sich nicht einfach, sie wachsen einem unter den Füßen weg. Jeder Schritt fühlt sich an, als würde man gegen die Schwerkraft antreten – und gleichzeitig in einem Traum spazieren. Die Kinder liefen los, als wären sie auf einem überdimensionalen Spielplatz gelandet. Noah stürmte die Hügel rauf, rutschte auf dem Po wieder runter, während Emilia Spuren in den Sand malte und fasziniert ihre eigenen Fußabdrücke verfolgte.

Der Sand leuchtete golden, jede Düne war ein kleines Kunstwerk, und mit jeder Minute wurde das Licht weicher, wärmer – bis alles in ein unglaubliches Glühen überging. Wir zogen lange Schatten hinter uns her, lachten, warfen uns in den Sand und beobachteten, wie der Himmel über uns langsam von Blau zu Rosa wechselte.

Und irgendwann war es still. Nicht im Sinne von langweilig – sondern von ehrfürchtig. Man steht dort oben, auf einer dieser gigantischen Sandwellen, schaut über das Tal, sieht im Dunst die Bergketten und begreift: Das hier ist Magie. Naturmagie. Keine Inszenierung, kein Soundtrack nötig. Nur Sand. Und Licht.

Wir blieben bis zur letzten Minute – bis die Sonne sich endgültig verabschiedete und der Horizont in Pastelltönen verschwamm. Und dann, mit Sand in den Schuhen, Wind im Haar und einem breiten Grinsen im Gesicht, gingen wir zurück zum Camper. Nicht schnell. Nicht gehetzt. Sondern in diesem typischen „Lasst uns diesen Moment noch ein bisschen festhalten“-Tempo.

Great Sand Dunes National Park

Unser Campingplatz lag zum Glück direkt nebenan – ein seltener Luxus auf einem Roadtrip, bei dem man sonst eher mal im letzten Licht nach Schildern sucht. Also kurz eingecheckt, Platz ausgesucht… und festgestellt: eben ist anders. Der Stellplatz war schräger als Emilias Einschlafroutine. Aber aufgeben? Keine Option. Die Männer fanden kurzerhand einen massiven Stein, rollten ihn mit Teamwork und viel Improvisationsgeist unter das eine Rad des Campers, und siehe da: halbwegs gerade. Zumindest laut Camper-Wasserwaage, die ja bekanntlich sowieso immer lügt.

Sah etwas abenteuerlich aus, aber hielt. Wahrscheinlich. Also hieß es: Grill anschmeißen, letzte Vorräte opfern, noch einmal das große Outdoor-Finale feiern.

Pinon Flats Campground

Die letzten Steaks brutzelten auf dem Rost, der Duft von BBQ lag in der Luft, und irgendjemand reichte die eiskalte Cola, irgendjemand das Bier, und irgendwann begann dieses Gespräch: „Was war eigentlich dein schönster Moment?“ Eine Frage, so simpel wie bedeutungsvoll, und plötzlich blätterte jeder in seinem inneren Reisefotoalbum.

Noah schwärmte vom Polar-Express-Zug, Emilia von den Sanddünen, die für sie wie ein endloser Sandkasten war. Nadine mochte Yellowstone, Oli das Grillen, Stefan die verrückten Straßen – und ich? Ich mochte alles. Weil jeder einzelne Moment ein Puzzleteil war.

Last BBQ before flight. Und das war keine Floskel – morgen geht’s zurück nach Denver, und übermorgen beginnt wieder das „normale“ Leben. Aber an diesem Abend, mit Blick auf den glühenden Himmel, den letzten Sonnenstrahlen auf der Motorhaube und dem Knistern des Grills in den Ohren, war noch einmal alles genau so, wie es sein sollte. Ein Roadtrip-Finale zum Einrahmen.

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