Gletscher-Magie, Bärenbegegnung, Whisky am Campfire
& ein kurioser Grenzübertritt in Hyder

Als meine Augen sich langsam öffneten, lag noch eine samtige Dunkelheit über dem Camper. Nur das leise Rauschen des Sees und ein entferntes Knacken im Wald erinnerten mich daran, dass draußen schon die Natur auf mich wartete. Doch statt mich noch einmal umzudrehen, packte mich die Abenteuerlust – ich sprang blitzschnell aus dem Bett, als hätte jemand heimlich einen Wecker unter die Matratze gelegt.

Im Halbdunkel tappte ich die wenigen Schritte hinunter zum See, jeder Atemzug ein Schluck kühler, klarer Morgenluft. Die Welt war noch in tiefer Ruhe, als die ersten Sonnenstrahlen zaghaft über die Berggipfel kletterten und den Nebel über dem Wasser in einen goldenen Schleier verwandelten. Es war einer dieser Momente, in denen man glaubt, in einem kitschigen Bildschirmschoner gelandet zu sein – nur dass es echt war. Natürlich musste das festgehalten werden: Also zückte ich mein Handy und versuchte, diese Magie in ein paar Schnappschüssen einzufangen.

Kinaskan Lake Provincial Park

Während ich noch damit beschäftigt war, die richtige Perspektive zu finden (und dabei fast ins Schilf gefallen wäre), wehte mir plötzlich ein verlockender Duft entgegen. Stefan hatte in der Zwischenzeit den Frühstücksmeister gegeben: frischer Kaffee, knuspriges Brot, und irgendwas brutzelte verdächtig lecker in der Pfanne. Ich hätte schwören können, dass er sogar ein Grinsen im Gesicht hatte – vermutlich wusste er genau, dass er mich mit diesem Duft schneller zum Camper lockt als jedes Bärenspray.

Der Himmel über uns war inzwischen fast wolkenlos, strahlend blau, wie frisch gewaschen. Alles deutete darauf hin, dass dieser Tag nicht nur sonnig, sondern auch unvergesslich werden würde.

Um 8:15 Uhr rollen wir vom Kinaskan Lake Campground. Ein letzter Blick auf das glitzernde Wasser, das sich zwischen den Bergen ausbreitet, und wir sind uns einig: dieser Platz war ein Volltreffer. Direkt am Ufer zu campen, war wie eine Postkarte, in der man übernachtet – nur mit Lagerfeuerduft und knarzender Camper-Tür.

Der Stewart-Cassier Highway zieht uns weiter in den Bann. Links und rechts türmen sich Berge, die Wälder leuchten im herbstlichen Farbenspiel, und die Straße wirkt wie eine endlose Einladung ins Abenteuer. Jeder Kilometer schreit förmlich: „Bleibt wachsam – hinter der nächsten Kurve könnte die nächste Postkarten-Aussicht lauern!“

Highway 37A

Nach gut 100 Kilometern taucht wie aus dem Nichts die Bell 2 Lodge auf – ein kleiner Luxusposten mitten in der Wildnis. Hier gibt es eine Tankstelle, ein Restaurant und sogar einen Shop. Wir tanken brav unseren Wagen auf und atmen die klare Bergluft ein – Energiereserven aufgefüllt! Der Shop lockt uns mit hübschen Souvenirs und Outdoor-Schnickschnack, aber die Preise sind so gesalzen, dass wir fast automatisch nach einem Salzstreuer greifen wollen. Am Ende belassen wir es beim Schaufensterbummel – immerhin ist Gucken noch gratis.

Frisch gestärkt setzen wir unsere Fahrt fort, und weitere 100 Kilometer später erreichen wir die berühmte Meziadin Junction. Hier heißt es: Abzweigen! Wir verlassen den Stewart-Cassier und nehmen die Abfahrt auf den Highway 37A – eine Strecke, die uns schon beim Gedanken daran Gänsehaut bereitet. Denn dieser Highway ist nicht einfach nur irgendeine Straße – er gilt als eine der spektakulärsten Routen Kanadas. Und er führt uns direkt nach Stewart (Kanada)und über die Grenze hinweg nach Hyder, Alaska. Allein der Gedanke an dieses kleine Abenteuer lässt unser Camper-Herz schneller schlagen.

Die Abzweigung auf den Highway 37A fühlt sich an, als hätten wir die Tür in eine andere Welt geöffnet. Vor uns liegen nur knapp 25 Kilometer bis zum Bear Glacier – aber was für welche! Die Straße windet sich durch eine Kulisse, die so dramatisch und gleichzeitig märchenhaft wirkt, dass man fast den Verdacht hat, gleich taucht ein Drache oder wenigstens Gandalf um die Ecke. Links und rechts rauschen Wasserfälle die Felsen hinunter, über uns hängen Wolkenschwaden, die sich wie mystische Schleier um die Berggipfel legen, und in der Ferne blitzen die ersten Gletscher auf. Jeder Kilometer schreit förmlich: „Fotostopp!“, und man wünscht sich, die Kamera könnte einfach nonstop mitlaufen.

Bear Glacier

Am Bear Glacier selbst stockt uns dann der Atem. Der gewaltige Eisstrom ergießt sich direkt in den türkisfarbenen Strohn Lake und reflektiert das Licht, als wäre hier ein Bühnenbild für einen Blockbuster errichtet worden. Ein kurzer Moment nur – und man spürt dieses ehrfürchtige Kribbeln im Bauch, das man nicht mal mit dem besten Filter der Welt einfangen kann. Nach ein paar Fotos und einem tiefen Durchatmen geht es weiter entlang des Bear Rivers. Die Straße schmiegt sich in einen Canyon, flankiert von schroffen Felsen und endlosen Wäldern. Das Rauschen des Wassers begleitet uns wie ein Filmsoundtrack – episch, wild und gleichzeitig unglaublich friedlich.

Bear Glacier

Nach einer Fotopause setzen wir unsere Reise entlang des Bear River fort und tauchen ein in einen malerischen Canyon. Die Szenerie um uns herum ist wie aus einem Fantasy Film entsprungen – ein perfekter Mix aus rauschendem Wasser, schroffen Felsen und grünen Wäldern.

Nach einer faszinierenden Fahrt durch eine grandiose Landschaft erreichen wir gegen 12:30 Uhr schließlich Stewart – ein Städtchen, das wie vergessen am Ende der Welt wirkt, eingebettet zwischen mächtigen Bergen, die sich wie Wächter um den Portland Canal scharen. Dieser natürliche Wasserweg markiert die Grenze zwischen Kanada und dem südlichsten Zipfel Alaskas. Schon die Lage allein macht klar: Stewart lebt von der Natur – und von ihrem rauen Charme.

Unser erster Anlaufpunkt ist das Visitor Center. Doch als wir vor der Tür stehen, ist es verriegelt – geschlossen. Na gut, typisch für Orte dieser Größe: Hier tickt die Uhr wohl einfach anders. Also parken wir unseren Camper und stürzen uns zu Fuß ins kleine Downtown. Die Straßen sind schmal, die Häuser bunt, und jedes Geschäft erzählt ein Stück Vergangenheit – man spürt sofort, dass Stewart früher ein geschäftiger Handelsposten mitten in der Wildnis war. Heute wirkt alles wie eine Mischung aus Western-Filmkulisse und liebevoll gepflegtem Dorfmuseum.

Stewart Visitor Center

Die Berge im Hintergrund verleihen dem Ganzen eine fast dramatische Bühne. Vor einem der bunten Häuser stehen dann zwei wahre Juwelen der Automobilgeschichte: ein Bel Air und ein Nomad aus den 50ern, beide so perfekt in Szene gesetzt, dass man glaubt, gleich steigt James Dean aus. Natürlich zücke ich die Kamera – diese Zeitkapseln muss man festhalten! Doch kaum ist das erledigt, lenkt mich ein kleines Café mit nostalgischem Charme ab: das Silverado Café. Mein Magen klatscht begeistert in die Hände und flüstert: „Lunch-Modus, jetzt!“

Stewart, British Columbia

Drinnen erwartet uns eine Tafel mit all den Zutaten, aus denen sich Sandwich-Träume bauen lassen. Wir stellen uns jeder unser persönliches Kunstwerk zusammen, während die Frau hinter der Theke, freundlich und effizient, sofort ans Werk geht. Alles läuft perfekt, bis mein Körper eine dringende Erinnerung schickt: Toilette. Ich frage nach dem Weg – und bekomme zur Antwort: „Einfach durch die Küche, dann rechts. Ach ja, das Schloss ist kaputt, aber stört schon niemand.“ Na dann, ab ins Abenteuer! Ich stolpere also durch die Küche wie ein unfreiwilliger Teilzeitkoch und hoffe inständig, dass die improvisierte Privatsphäre hält.

Währenddessen beschäftigt sich Stefan mit der Kaffeemaschine. Eine Selbstbedienungs-Bar mit Kaffee und Tee klingt einfach, aber die Technik der Kaffeekanne übersteigt meine Geduld – also übernimmt er. So sitzen wir wenig später mit duftenden Sandwiches und heißem Kaffee am Tisch, und alles ist wieder im Gleichgewicht.

Silverado Cafe

Das Beste am Silverado Café sind aber nicht nur die Sandwiches. Die Wände sind vollgekritzelt mit Namen, Sprüchen und kleinen Zeichnungen von Reisenden aus aller Welt. Auch wir bekommen einen Stift in die Hand gedrückt – und natürlich verewigen wir uns. Am Fensterrahmen bleibt noch ein freies Plätzchen, und schwupps, sind auch wir Teil dieser bunten Tradition.

Gestärkt und zufrieden schlendern wir anschließend zum örtlichen Supermarkt. Und da passiert es: Souvenir-Alarm! Hyder-T-Shirts für nur fünf Dollar. Fünf! Selbst Schwaben-Herzen schlagen da höher. Klar, dass wir zuschlagen. Mit Tüten in der Hand und Sandwich-Glück im Bauch geht es zurück zum Camper – bereit für die nächste Etappe unseres Abenteuers.

Steward, British Columbia

Die Vorfreude steigt, als wir uns auf den Weg zum legendären Salmon Glacier machen. Doch bevor wir den eisigen Riesen sehen können, wartet ein kleines Abenteuer: die Grenze zu Alaska. Nur sechs Kilometer von Downtown Stewart entfernt erreichen wir den Übergang. Eine ernsthafte Kontrolle? Fehlanzeige. Schließlich führt der Weg nach Hyder in eine Sackgasse – wer hier reingeht, muss denselben Weg auch wieder raus.

Ein paar Meter weiter spannt sich ein Schild über die Straße: „Welcome to Hyder, Alaska – the friendliest Ghost Town“. Klingt nach einer Mischung aus Wilder Westen und Geisterbahn – und genau so fühlt es sich auch an. Der Asphalt endet abrupt, und plötzlich rumpeln wir auf Schotter durch eine Welt, in der die Zeit scheinbar irgendwann vor hundert Jahren stehen geblieben ist. Hyder wirkt wie ein Drehort für einen Western, nur ohne Komparsen. Oder vielleicht doch – die paar verstreuten Häuser und Bars flüstern Geschichten aus einer anderen Epoche, während wir durch „Downtown Hyder“ tuckern.

Kanada-USA Border Hyder

Und dann diese kuriose Mischung: Obwohl die Grenze inoffiziell fast bedeutungslos wirkt, trennen sie auf dem Papier zwei Welten. Kanada auf der einen Seite, Alaska auf der anderen – mit unterschiedlichen Gesetzen, Währungen und sogar Zeitzonen. Rein theoretisch gewinnen wir hier eine Stunde, in der Praxis fühlt es sich an, als würden wir gleich ganze Jahrzehnte zurückspringen.

Nach wenigen Kilometern erreichen wir schließlich den Fish Creek, ein Ort, der wie eine kleine Naturbühne inszeniert ist. Im Sommer tobt hier das Leben: tausende Lachse kämpfen sich aus dem Portland Canal flussaufwärts, um an ihren Laichplätzen das große Finale ihres Daseins zu vollenden. Für uns Besucher gibt es einen langen Holzsteg, den sogenannten Boardwalk, von dem aus man das Spektakel hautnah beobachten kann.

Lachs

Wir lehnen uns über das Geländer und sehen den kräftigen Fischen zu, wie sie gegen die Strömung ankämpfen. Ein paar Wasservögel mischen sich ins Geschehen, picken hier und da ein Häppchen aus dem Wasser. Und während wir den Blick über die Szenerie schweifen lassen, bleibt diese Hoffnung: dass gleich ein Bär majestätisch aus dem Wald tritt und sich sein Abendessen aus dem lebenden Buffet holt.

Noch ist keiner da – aber wir bleiben optimistisch. Der Rückweg führt uns ohnehin noch einmal hier vorbei. Vielleicht spielt sich das wahre Drama erst dann ab.

Hyder, Fish Creek

Unsere Reise führt uns weiter auf der faszinierenden Salmon Glacier Road. Ursprünglich angelegt, um die Minen in den Tälern des Salmon River, des Cascade River und des oberen Bowser River zu versorgen, dient die Straße heute vor allem den Touristen, die sich auf den Weg zum Gletscher machen. Eine Broschüre führt uns auf eine „Self-Guided Auto-Tour“ mit 14 Aussichtspunkten, die uns Schritt für Schritt näher zum beeindruckenden Salmon Glacier führt.

Es ist faszinierend, wie diese Straße einst das Herzstück der Versorgung war und heute zu einem malerischen Pfad für Abenteuerlustige geworden ist. Der Salmon Glacier wartet darauf, von uns entdeckt und bewundert zu werden – also: Los geht’s!

Salmon Glacier Road

Das Abenteuer erreicht seinen Höhepunkt, als wir uns aufmachen, die faszinierenden Stopps auf der Salmon Glacier Road zu erkunden.

Die Reifen rollen über die asphaltierte Straße, und die Umgebung verwandelt sich mit jeder Kurve. Jeder Stopp auf der Liste verspricht uns ein neues Kapitel in diesem aufregenden Abenteuer, angefangen bei der malerischen Grenze bis hin zu den majestätischen Bergen und Gletschern der nördlichen Coast Mountains. Wir arbeiten gewissenhaft alle in der informativen Broschüre beschriebenen Stopps ab- Die Stops 01-06 haben wir ja im Laufe des Morgens bereits abgehakt – nun folgt also die Fahrt hinauf auf den Gletscher.

Salmon Glacier Road

Salmon Glacier Road

Stop 01: Stewart, British Columbia Der Ausgangspunkt unserer Reise – Stewart in British Columbia, ein malerisches Fleckchen Erde umringt von majestätischen Bergen.

Stop 02: Stewart/Hyder Border
Die Grenze zwischen Stewart und Hyder – zwei Welten, zwei Länder, und dennoch so eng miteinander verbunden.

Stop 03: Hyder, Alaska
Willkommen in Hyder, Alaska – einer Geisterstadt, die ihre eigene einzigartige Geschichte erzählt.

Stop 04: Tongas National Forest
Der Tongas National Forest begrüßt uns mit seiner üppigen Natur und wilden Schönheit.

Stop 05: Moose Pond
Der malerische Moose Pond, ein stiller Zeuge der Natur, eingebettet in die Wunder Alaskas.

Stop 06: Fish Creek Wildlife Viewing Area
Der Spot, an dem wir auf Bärenhunten gehen – die Hoffnung auf majestätische Begegnungen mit Grizzlies.

Stop 07: Titan Trail
Die Titan Trail, ein Pfad durch die Wildnis, der uns tiefer in die unberührte Natur führt.

Stop 08: Riverside Mile
Der Riverside Mile, wo das Rauschen des Wassers die Melodie der Natur spielt.

Stop 09: Nine Mile
Die Nine Mile – ein Stopp, der uns mit Panoramablicken auf die atemberaubende Landschaft belohnt.

Stop 10: Premier Border Crossing (Silver Heights)
Die Grenze bei Silver Heights, ein Übertritt zwischen den Welten, wo Geschichte und Gegenwart verschmelzen.

Stop 11: Indian Miles Viewpoint
Der Indian Miles Viewpoint, eine erhöhte Position, um die Weite der Natur zu erfassen.

Stop 12: Premier Mines Viewpoint
Der Premier Mines Viewpoint, eine Reise in die Vergangenheit der verlassenen Minen.

Stop 13: Toe Of Salmon Glacier
Der Punkt, wo wir den Salmon Glacier buchstäblich zu seinen Füßen haben – ein Anblick, der den Atem raubt.

Stop 14: Summit Viewpoint
Der Summit Viewpoint – der krönende Abschluss, umgeben von den majestätischen Bergen und Gletschern der nördlichen Coast Mountains.

Mit jeder Kurve windet sich die Straße höher, bis wir schließlich auf rund 1300 Metern stehen. Und dann liegt er vor uns – der gewaltige Salmon Glacier, fünftgrößter Nordamerikas. Ein endloses Band aus Eis, das sich durch das Tal schlängelt wie ein gefrorener Drache, dessen Schuppen in der Sonne glitzern. Er speist den Salmon River, der sich seinen Weg bis in den Portland Canal bahnt, und wirkt doch so still und ewig, als könne ihn nichts erschüttern.

Salmon Glacier

Stefan entfaltet die Drohne, und plötzlich werden wir selbst zu Regisseuren dieses Naturfilms. Waghalsig zieht er Kreise über der gleißenden Eisfläche, taucht ab, steigt wieder auf – Perspektiven, die uns den Atem rauben. Dann passiert’s: Stefan schaltet versehentlich den Turbo-Flugmodus ein. Auf einmal jagt das Ding davon wie ein Düsenjet auf Speed. Er hat die Drohne kaum noch unter Kontrolle, verfolgt sie hektisch mit der Fernbedienung und verpasst dabei nur knapp, einem ahnungslosen Touristen die Haare zu rasieren. Die Umstehenden reißen erstaunt die Augen auf – und fangen an zu applaudieren! Niemand merkt, dass es pure Verzweiflung und kein Kunstflug war. Alle halten Stefan für den Chuck Norris der Drohnenszene, während ich mich am Boden kringele vor Lachen.

Noch immer berauscht von der eisigen Pracht des Salmon Glacier treten wir den Rückweg an. Die Luft ist klar, die Sonne blinzelt durch die Baumwipfel – und wir fühlen uns, als hätten wir gerade eine Hauptrolle in einem Abenteuerfilm abgeschlossen. Doch kaum setzen sich die Räder wieder in Bewegung, kippt die Szene: Statt „Into the Wild“ sind wir plötzlich mitten in „Mr. Bean fährt Wohnmobil“.

Ein Stück der Straße hat sich nämlich in eine Mondlandschaft aus Schlaglöchern verwandelt. Wir rumpeln hinein, und sofort beginnt unser Camper eine Performance, die irgendwo zwischen Breakdance und Schiffsschaukel liegt. Jedes Schlagloch ein eigener Takt, jedes Rumpeln ein Trommelschlag. Ich steige lachend aus, zücke die Kamera und filme, wie Stefan sich tapfer durch das Chaos manövriert. Von außen sieht es noch spektakulärer aus: Der Camper schwankt, als wolle er gleich die Synchron-Schaukel-WM gewinnen, während ich mir vorstelle, wie unser Geschirr im Schrank gerade „Heavy Metal auf Porzellan“ probt.

Salmon Glacier Road

Und dann, völlig unvermittelt, taucht Stop 10: Premier Border Crossing (Silver Heights) auf – die „Grenze“. Kein Schlagbaum, keine Beamten, nur ein wettergegerbtes Schild mitten im Nirgendwo. Hier, auf dieser abenteuerlichen Piste, wechselt man einfach so die Länder. Wir steigen natürlich für das obligatorische Foto aus, salutieren uns gegenseitig und tun so, als würden wir gerade den strengsten Zoll der Welt passieren. In Wahrheit ist es nur ein kurzes „Welcome back to British Columbia“, doch in diesem Moment fühlt es sich an, als hätten wir wieder ein Level im Roadmovie freigeschaltet.

Alaska – Canada Border

Mit jedem Schlagloch, das wir noch hinter uns lassen, wird klar: Die Fahrt zurück nach Hyder ist genauso abenteuerlich wie die Hinreise. Doch der Gedanke an die überwältigenden Eindrücke oben auf dem Gletscher lässt uns über jedes Rumpeln hinwegsehen. Und während unser Camper sich heldenhaft durch die Pfützen und Krater kämpft, lachen wir uns kaputt und denken: Wenn das Geschirr das überlebt hat, überlebt es alles.

Die Uhr zeigt bereits 17:30 Uhr, als wir wieder am Fish Creek ankommen. Der Ort ist inzwischen gut gefüllt – eine kleine Armada von Fotografen hat sich mit ihren monströsen Teleobjektiven wie bei einer Safari verschanzt. Alle starren konzentriert ins Wasser, als könnten sie die Bären allein mit Blickkraft herbeihypnotisieren. Wir suchen uns ein freies Plätzchen auf dem Steg und reihen uns erwartungsvoll in die schweigende, gespannte Runde ein.

Hyder, Fish Creek

Doch die erhofften Grizzlies lassen sich an diesem Abend nicht blicken. Stattdessen beschert uns die Natur ein anderes Spektakel: Ein Adler schießt aus dem Himmel herab, zieht mit einer Eleganz, die jeden Fischer vor Neid erblassen lässt, einen dicken Lachs aus dem Fluss – ein wahres Meisterstück an Präzision. Doch kaum hat er Beute gemacht, stürzt ein zweiter Adler heran, entreißt ihm den Fisch im Sturzflug und fliegt triumphierend davon. Ein Naturdrama in drei Akten – mit dem stolzen Jäger als tragischem Verlierer.

Hyder Fish Creek

Das Warten auf die Bären geht weiter, aber langweilig wird es uns nicht. Der Fish Creek liegt vor uns wie eine Filmkulisse: hohe Bäume rahmen den Fluss, im Hintergrund thronen die Berge, und leichter Nebel tanzt geheimnisvoll über dem Wasser. Es fehlt nur noch, dass John Williams persönlich mit Orchester auftaucht. Stefan lehnt sich irgendwann nach vorne, mustert die Szene und sagt trocken: „Wenn da nicht bald jemand eine Ziege reinwirft, kommt auch kein Tier.“ 🦖

Hyder Fish Creek

Jurassic Park am Fish Creek – die Kamera läuft, die Spannung steigt, nur die Stars weigern sich, ihren Auftritt zu machen. Aber mal ehrlich: Wer braucht schon Grizzlies, wenn man Adler im Sturzflug, Lachsdramen und einen Stefan im besten Kommentatorenmodus hat?

Langsam legt sich die Dämmerung über den Fish Creek, und die meisten Fotografen packen ihre riesigen Teleobjektive ein, während wir noch ein wenig ausharren. Schon fast haben wir die Hoffnung aufgegeben, da tippt mich ein freundlicher Mann auf die Schulter und flüstert: „There is a bear.“ Ich folge seinem Fingerzeig – und tatsächlich! Auf der anderen Seite des Stegs schleicht ein Schwarzbär durchs Gras. Mein Herz macht einen Satz. Und als wäre das nicht schon grandios genug, tauchen kurz darauf gleich noch zwei weitere auf. Drei Schwarzbären auf einmal! Jackpot!

Schwarzbär

Wir genießen jede Sekunde dieser Begegnung. Die Tiere bewegen sich gelassen durch die Szene, als wären sie die eigentlichen Stars und wir nur das geduldige Publikum. Für mich ist das ein absoluter Glücksmoment – genau die Art von Augenblick, für die man stundenlang ausharren würde.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht und dem stolzen Gefühl, die Bären in freier Wildbahn gesehen zu haben, machen wir uns schließlich auf die Suche nach einem Schlafplatz. Am Ortseingang von Stewart hatten wir am Nachmittag schon ein Schild für einen Campground erspäht – das klingt jetzt nach dem perfekten Nachtquartier.

Doch bevor wir uns dort niederlassen können, steht uns noch die Rückkehr über die Grenze bevor. Wie bereits erwähnt: Rein in die USA war kein Problem – da winkt niemand. Aber auf dem Rückweg nach Kanada ist das anders. Hier sitzen die Beamten, und die Kanadier haben ihre Augen offen. Einmal tief durchatmen – und dann rollen wir mit unserem Camper an den Grenzposten heran.

Ein herzhaftes Lachen entfährt uns, als wir am Ortsausgang ein Schild entdecken, das aussieht wie eine entfesselte Kopie des berühmten Berliner Checkpoint Charlie – oder vielleicht ist das Original einfach mal kurz in Hyder aufgetaucht. Wer weiß das schon. Mit diesem absurden Augenzwinkern verlassen wir also den „Eastern Sektor“ und rollen zurück in Richtung Kanada.

USA-Canada Grenze

An der Grenze erwartet uns dann allerdings kein freundlicher Geisterstädter, sondern ein junger Grenzbeamter, der aussieht, als hätte er den Job des Torwächters persönlich sehr, sehr ernst genommen. Mit steinerner Miene fixiert er uns, als wären wir Staatsfeinde und nicht zwei Camper-Fans, die gerade von einem Gletscherausflug zurückkommen.

„Was war der Grund Ihrer Reise nach Hyder?“ – okay, das klingt noch logisch. Aber dann biegt die Unterhaltung rasant ins Absurde ab. „Können Sie mir sagen, womit Sie in Deutschland Ihr Geld verdienen?“ Stefan und ich tauschen einen Blick aus, der alles sagt: Was genau hat mein Job mit einer verlassenen Geisterstadt in Alaska zu tun? Die Fragen werden immer skurriler. „Haben Sie in Hyder Waren erstanden, die Sie jetzt nach Kanada einführen?“ Wir müssen uns zusammenreißen, um nicht loszuprusten. Waren? In Hyder? Hat er etwa die versteckte Mall gesehen, die uns entgangen ist? Oder die geheimen Regale von Area 51?

Während wir brav antworten und so tun, als sei das alles völlig normal, wird uns klar: Dieser Mann ist ein Meister der Bürokratie, ein Pedant im Grenzhäuschen, der seine ganz eigene Vorstellung von Abenteuer hat. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, winkt er uns doch noch durch – wahrscheinlich nur, weil ihm die nächste absurde Frage entfallen ist.

Wieder zurück in Kanada fahren wir erleichtert zum Bear River Campground – und der entpuppt sich als echter Glücksgriff. Freundliche Betreiber, warme Duschen, WLAN (ein wahrer Luxus in dieser Ecke der Welt) und gleich zwei Firepits warten auf uns. Wir packen Fleisch und Holz aus, und während die Flammen knistern, wissen wir: Dies war einer der kuriosesten Grenzübertritte unserer Reisen – und definitiv eine Geschichte, die in keinem Lagerfeuer-Repertoire fehlen darf.

Bear River Campground

Während Stefan den Camper gekonnt an Strom und Wasser anschloss – fast so professionell wie ein Formel-1-Team in der Boxengasse – übernahm ich die Regie beim Entfachen des Feuers. Mein Holzstapel war perfekt geschichtet, ein kleines Kunstwerk aus Ästen und Grillanzünder, bereit, in Flammen aufzugehen. Genau in diesem Moment hielt nebenan ein Pickup, und ein junger Mann sprang heraus, als hätte er den gleichen Plan. Er machte sich ebenfalls ans Feuer, grinste breit und rief: „Hey, we are Fire-Neighbours!“ Na, wenn das kein offizieller Titel ist! Und weil ich bekanntermaßen ein guter Nachbar bin, bekam er sofort einen meiner Grillanzünder gesponsert.

Bear River Campground

Stefan gesellte sich dazu, und während unsere Steaks langsam zu brutzeln begannen, kamen wir mit dem freundlichen Fremden ins Gespräch. Er stellte sich als Robert vor, und schnell entstand eine kleine Campfire-WG, untermalt vom Knistern der Flammen und dem köstlichen Duft von Grillfleisch. Die Stimmung war so entspannt, dass man beinahe vergaß, dass wir uns mitten in der Wildnis und nicht auf einer Gartenparty befanden.

Zum Dinner zogen wir dann doch in unseren Camper um – schließlich schmeckt ein perfekt gegrilltes Steak unter einem echten Dach noch ein bisschen besser. Während Stefan sich nach dem Mahl eine Dusche gönnte, stattete ich unserem „Feuer-Nachbarn“ einen zweiten Besuch ab. Robert erzählte, dass er wegen der Arbeit in der Gegend sei, sein eigenes Camp jedoch ein striktes „Dry-Camp“ sei. Kein Bier, kein Whisky, nur trockene Realität. Deshalb genehmigte er sich seine gemütlichen Abende hier am Campground – mit Feuer, Gesellschaft und einem kühlen Getränk. Cleverer Mann.

Spontanes Whiskey-Tasting

Später gesellte sich auch Stefan wieder zu uns, und so wurde es ein richtig geselliger Abend zu dritt. Wir plauderten über Roberts Job, über deutsche Touristen in Kanada (offenbar erkennt man uns am Camper und am Kamera-Dauerfeuer) und streiften sogar ein bisschen Politik. Dann verschwand Robert kurz zu seinem Pickup und kam grinsend mit zwei Flaschen Whisky zurück. „Die habe ich extra am Flughafen gekauft – für den Fall, dass ich gute Freunde finde, mit denen ich sie teilen kann. Und heute ist so ein Abend.“ Na, wenn das kein Ritterschlag war!

So saßen wir schließlich unter einem klaren Sternenhimmel, mit Bier und Whisky im Glas, Flammen im Feuerkorb und Geschichten in der Luft. Es war einer dieser Abende, die man nicht plant, die einfach passieren – und die am Ende die schönsten Erinnerungen hinterlassen. Drei Schwarzbären am Nachmittag, ein perfektes Steak am Abend und dann noch ein Whisky mit unserem „Campfire-Neighbour“. Mehr Glück ging wirklich nicht.

Bear River Campground

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